Einen wichtigen Beitrag zur Offenlegung von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche leistet das neu erschienene Buch des Bundesverbands der Gemeindereferent*innen (BVGR) „Machtmissbrauch im pastoralen Dienst“. Es legt den Fokus auf vielfältige Missbrauchserfahrungen von Gemeinde- und Pastoralreferent:innen.
Grundlage ist eine Umfrage des BVGR, an der 936 Kolleg:innen teilgenommen haben, knapp ein Viertel davon Pastoralreferent:innen. 69 Prozent geben an, im beruflichen Kontext übergriffige Erfahrungen oder Machtmissbrauch erlebt zu haben. Bei 36 Prozent dauern die Missbrauchserfahrungen noch an.
Auch wenn möglicherweise prozentual mehr Betroffene an der Umfrage teilgenommen haben, sind diese Zahlen - und die leidvollen Erfahrungen von Kolleg:innen - erschreckend. Sie werfen ein Licht auf die dunkle Seite der katholischen Kirche als Arbeitgeberin und machen die besonderen kirchlichen Ursachen von Machtmissbrauch am Arbeitsplatz deutlich. Systemische Ursachen liegen an der strukturell begründeten Position von GR und PR in der zweiten Reihe, was für die Mehrzahl der Einsatzfelder zutrifft, oft verschärft durch Klerikalismus, und den nicht nach Kompetenz, sondern nach Weihe vergebenen Leitungspositionen.
In den dokumentierten persönlichen Berichten von acht Betroffenen wird das sehr plastisch: Es geht um Abwertung und Missachtung von Kompetenzen, geistlichen Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Mobbing/Bossing in der Kirche.
Deutlich wird auch die in weiten Bereichen mangelhafte Personalführung. Die Beiträge der beiden Personalerinnen Regina Seneca und Margherita Onorato-Simonis, die eine verantwortungsvolle und dem kirchlichen Anspruch angemessene Personalführung propagieren, zeigen überdeutlich den Kontrast zur oft erlebten Realität in den Bistümern.
Lesenswert sind auch die Ermutigung zur Emanzipation von Valentin Dessoy und die Kritik am Berufungsbegriff von Martin Flesch. Hilfreich sind die grafisch
aufbereiteten Ergebnisse der Umfrage auf der Homepage des BVGR.
Die BVGR-Vorsitzenden Regina Nagel und Hubertus Lürbcke legen mit ihrem Buch zurecht den Finger in die Wunde des Machtmissbrauchs. Es wird deutlich, dass es oft einfach Glück (oder Pech) ist, ob ein:e Kolleg:in auf ihrer/seiner Stelle für andere und sich selbst segensreich wirken kann (oder Gegenteiliges erfahren muss). In dieser Ambivalenz bewegen sich die Erfahrungen in den pastoralen Berufen, die Chancen und Möglichkeiten bieten, eine sinnstiftende und vielfältige Arbeit auszuüben, und gleichzeitig tiefe Verletzungen hervorrufen können.
Ein bedrückendes Buch, das ich vor einer Entscheidung für einen pastoralen Beruf zur Lektüre empfehle. Es sollte verhindern, blauäugig in den kirchlichen Dienst zu gehen. Unbedingt lesen sollten es aber alle, die in der Kirche Personalverantwortung tragen – und ihr Handeln auf den Prüfstand stellen.
Marcus Schuck